(09.11.2020, 14:04)Audi_Martin_1992 schrieb: Mir ist klar, dass wir Beschränkungen brauchen und das finde ich auch okay. Aber mir ist dann die Ausnahme mancher Lebensbereiche, wie der Gottesdienst unschlüssig. Geht es da um die Religionsfreiheit? Ich bin kein Jurist, aber das würde ich halt gerne immer dazu wissen.
Vielleicht ist das auch meckern auf hohen Niveau.
Hi,
problematisch und das wird ja im Bundestag auch von den Oppositionsparteien massiv bemängelt ist IMHO der Umstand, dass diese Regeln von der Regierung ohne Einbeziehung des Parlaments erlassen werden. Wobei natürlich klar ist, dass die Koalition mit ihrer Mehrheit diese Regeln auch gegen den Widerstand der Opposition durchdrücken könnte. Trotzdem...verfassungsrechtlich IMHO problematisch. Ein Thema, dem sich Thomas Fischer in seiner Spiegel-Kolumne mal widmen sollte.
Auf die Gottesdienste bezogen: sicher haben die Kirchen da einen Einfluss und immerhin trägt die CDU/CSU noch ein "Christlich" im Namen. Allerdings haben die Kirchen ein recht umfangreiches Hygienekonzept vorgestellt, z.B. hier für die evangelische Kirche in Bayern nachzulesen:
https://corona.bayern-evangelisch.de/Empfehlung.php
Es ist also nicht so, dass Gottesdienste unbeschränkt weiter gehen dürfen, wo andere Veranstaltungen selbst bei vorliegenden Corona Hygienekonzept verboten werden. Und ganz ehrlich, überfüllte Gotteshäuser sind ein eher seltenes Phänomen; das Abstandsgebot dürfte dort auch zu Vor-Corona-Zeiten kein Problem gewesen sein....anders mag es bei anderen Religionsgruppen aussehen, die, wie Volker Pispers es mal ausgedrückt hat, ihre Religion noch ernst nehmen. Ist aber ein anderes Thema...
Ich denke, dass eine umfassende und allen Umständen gerecht werdende Diskussion schlicht zu lange dauern würde. Wenn sie denn überhaupt möglich wäre. Es geht darum, die ansteigende Welle der Neuinfektionen jetzt zu brechen und nicht in drei Wochen. Die Intensivstationen laufen voll und schnelles Handeln ist genauso wichtig wie effektives. Persöhnlich bin ich der Meinung, dass der neue Lockdown mindestens eine Woche zu spät gekommen ist, eher zwei. Und je mehr Erklärungen bzw. Rechtfertigungen gegeben werden, warum dieses noch unter Auflagen erlaubt, jenes aber verboten wird, würde Klagen von anders Denkenden Tür und Tor öffnen. Ich gebe aber zu, dass das aus rechtsststaatliche Erwägungen alleine eine problematische Vorgehensweise ist.
Und es steht einem anderen Anliegen entgegen; dass diese Regeln auch in der Bevölkerung angenommen und durchgeführt werden. Wir können nicht in jeden Supermarkt einen Polizisten dauerhaft schicken, der das Tragen von Mund-Nase-Schutz durchsetzen, so viele haben wir nicht.
Ein vielleicht gewagter historischer Vergleich, bei der Sturmflut in Hamburg 1962 hat der damalige Polizeisenator von Hamburg die Leitung der Massnahmen am Regierenden Bürgermeister vorbei (der war auf Kur und traf erst später ein) an sich gerissen und sogar die Bundeswehr und NATO-Truppen hinzugezogen, obwohl ihm das vom Weisungsrecht her bei weitem nicht zustand und der Einsatz der Bundeswehr im Inland damals streng genommen grundgesetzwidrig war. Das Ergebnis zeigte, dass er richtig gehandelt hat.
Die Massnahmen müssen unter rechtlichen Gesichtspunkten drei Kriterien erfüllen, sie müssen angemessen, zumutbar und wirksam sein. Vielleicht interessant:
https://www.haufe.de/recht/weitere-recht...13412.html
In dieser Betrachtung gibt es kein "Jene Regel ist aber weniger zumutbar als diese, diese wiederum weniger wirksam als jene." Es wird also jede Regel für sich in ihrer Zulässigkeit als Einschränkung anderer Rechte wie z.B. Versammlungsfreiheit, Gewerbefreiheit oder Unzulässigkeit von Berufsverboten betrachtet und eben nicht untereinander verglichen. Ist halt unser Rechtssystem.
Das das ganze auch Opfer hat, Gewerbetreibende, deren Existenszgrundlage gefährdet wird z.B., keine Frage. das muss berücksichtigt werden und da muss geholfen werden. Und das werden wir und unsere Kinder später alles abbezahlen müssen. Aber das kann und darf nicht der einzige Gesichtspunkt sein, unter dem wir jetzt handeln. "In den Krankenhäuser wird Triage durchgeführt? Mir doch egal, ich hab doch kein Corona und will jetzt in meine Stammkneipe mit meinen Kumpeln was wegschlucken, das ist mein Recht als Bürger!"; das kann es nicht sein. Ich möchte in der Tagesschau keine Bilder wie aus New York im Frühjahr sehen, wo die Leichen zu Dutzenden in Holzkisten aus den Kliniken in LKW verladen und weggeschafft wurden, weil die Krematorien vor Ort heillos überfordert waren, die Einäscherungen zeitnah durchzuführen. Danke, brauch ich nicht.
MfG
Stephan
Das Leben ist zu kurz, um Reihenvierzylinder zu fahren.